01. Januar 1910,
Hamburgischer Correspondent
(Hamburger Staatsarchiv / 741-4_S 12913)
Wir saßen beim schweren
Sylvesterpunsch, den ich mit jener tiefen Liebe, zartem Verständnis und rascher
Entschlußfähigkeit zubereitet hatte, die man im Umgang mit Bowlen, Pferden oder
– Damen so dringend notwendig hat. Sonst werden sie unbekömmlich – ein jedes
auf seine Art.
Fern von der Zylinder
mordenden Friedrichsstadt (Berlin) freuten wir
uns – fünf Mann hoch – des bekannt „angenehm duftenden“ Trankes. Das „Mann“
natürlich etwas illusorisch gedacht, - denn die edle Weiblichkeit überwog auch
wieder einmal hier, - natürlich nur der Quantität nach. Die Geister platzten
aufeinander, es gab lebhafte Debatten, doch stets mit unparlamentarischer Mäßigung,
aber an mir, oder vielmehr meinem Punsch, lag es wirklich nicht, da auch im
Normalzustand dieser Familie stets genügend geistiger Zündstoff angehäuft ist,
um ständige, für den nicht beteiligten Beobachter oft beängstigend wirkende
Detonationen in Form heftiger, aber gutartiger Redeschlachten hervorzurufen.
Das vergehende Jahr wurde
mit all seinen Freuden und Leiden durchgehechelt, und da es manchen Leuten mit
dem alten Jahr ebenso geht wie mit einem aufgedrungenen Logierbesuch, der nur
zwei große Freuden mit sich bringt – die eine, wenn er kommt, die stärkere,
wenn er geht , fanden auch wir es sehr nett, dass das alte Jahr notgedrungen
seine Fahrkarte, Endstation Zeitmeer, bis Mitternacht benutzen musste, und
endlich ein Ziel und Ende für diesen etwas zu lang ausgedehnten Aufenthalt
abzusehen war.
Und da man bekanntlich bei
allen geistigen Getränken recht wenig geistreich wird, tauchte alsbald die
furchtbarste aller Zeitfragen, die durch ihr Sein oder Nichtsein berufen ist,
eine größere Umwälzung hervorzurufen, als jemals die Revolution in Russland
vermochte, - die Dienstmädchenfrage aus den Abgründen der Punschbowle hervor.
Frau von Wildbach (Anna von Monsterberg) war die Anstifterin, indem sie
mit fast beängstigend wirkendem Tiefsinn auf das wilde Chaos der Gläser und
Teller sah, und, entgegen ihrer sonstigen Energie, ganz ängstlich mahnte:
„Kinder
macht bloß nicht noch mehr Unordnung, sonst kündigt uns unsere Donna womöglich
noch als Neujahrsüberraschung.“
Die älteste Tochter, die
sich nie gern aus ihrer angeborenen Ruhe bringen lässt, stimmte der warnenden
Mutter zu, während die beiden anderen Töchter des Hauses im bösesten
jugendlichen Leichtsinn diese Möglichkeit einfach als willkommenen Anstoß zur
Rettung aus schlimmsten Sklavenketten erklärten. Und sie begeisterten sich für
die absurde Idee, selig zu sein ohne „Minna“. Minna, dies einzigartige Mädchen
mit der 14tägigen Kündigung, die es in ihrer zweijährigen Dienstzeit schon so
weit gebracht hatte, dass ihre Bücher 35 Stellen aufwiesen, worunter 27
Zeugnisse derart „Glänzend“ waren, dass keine anschwärzende Tinte sich darin
aufzudrängen wagte.
Das hochinteressante Thema
war noch nicht erschöpft, als vor Ablauf des alten Jahres die Punschgeister die
drei Mädels eifrigen Traumgöttern zur Weiterbeförderung in ein besseres Land
übergaben.
Die Jüngste (Sybilla von Monsterberg) der Familie, die, seit sie
erinnerungsfähig geworden, stets unter dem Zeichen der „Versetzungen“ ihres
Offizierstochterdaseins stand, und infolge dessen etwas zigeunermäßige
Wanderunruhe in sich hatte, murmelte aus ihren Kissen:
„Minna
fort! Fein wäre das! Dann könnte man denken, es gebe mal wieder Umzugstrubel!“
Und die Älteste, die das
Soldatenblut noch am unverdünntesten abbekommen, meinte dementsprechend:
„Dann
würde die Sache eben so geregelt werden müssen, dass immer eine von uns
„Ordensdienst“ hat. Die Jüngsten fangen an! Merk Dir das Benjamina. Aber jetzt
endlich, Schluss der Debatte!“
Brrrrr – die elektrische
Klingel! Herr Gott, was man leichtsinnig heraufbeschwor, ist Wahrheit,
peinvolle und reichlich abkühlende Wahrheit geworden!
Völlig ohne Mädchen!!
Und es läutet, noch einmal,
jetzt schon mit einem gewissen Vorwurf im Ton, und dabei ist es erst halb acht!
Drei weiße Gestalten sind
wie auf Kommando zu gleicher Zeit aus den Betten. Doch opfermutig stößt die
Älteste, im Gefühl ihrer verpflichtenden Erstgeburtswürde, die beiden
traumbenommenen Schwestern zurück, schleicht sichernd, wie ein waschechter
Indianer auf dem Kriegspfad über die im fahlen Morgendämmer liegende Diele und
öffnet die Entreetür, sie gleichzeitig als höchst notwendige Deckung für ihren
übrigen Menschen benutzend.
Ein etwas eigentümlich
toilettierter Arm reckte sich dem sonst so willkommenen Briefträger entgegen,
der mit ahnungsloser Freundlichkeit als Briefzugabe einen höchst reizvollen
Händedruck und einen:
„Guten
Morgen auch, schöne Minna“, abgibt.
Mit einem wütenden:
„Ja,
guten Morgen“ schleuderte der verpfuschte Stammhalter der Familie die Briefe
auf den nächsten Stuhl und sich noch einmal ins lockende Bett.
Brrrrr – es läutet schon
wieder!
„Bolle!
Die Milch“, stöhnt die Mittelste (Karoline von Monsterberg),
die sich nun ihrerseits bei dem zweiten Scheller endgültig erhebt und sich
förmlich schuldbeladen fühlt, da sie die einzige Persönlichkeit der Familie
ist, die diese milchkonsumierende Säuglingsgewohnheit beibehalten hat.
„Na,
denn also, an die Pferde“, knurrt Erna (Elinor von
Monsterberg), die Älteste, und nach kurzer Morgentoilette, die so
flüchtig wie noch nie ausfällt, verteilen sich die drei wie selbständige
Schützenzüge in die tiefen der Wohnung (Kaiserallee
159, Wilmersdorf).
„Nun seht
mal bloß – diese empörende Unordnung im Esszimmer!“, maulte die Jüngste, das
sogenannte „Luxusmädel“, wie Frau von Wildbach ihre dritte Tochter in weiser
Erkenntnis der Dinge einst getauft, als diese mit verblüffender Unverfrorenheit
anstatt des „bestimmt“ erwarteten Sohnes, in der rittmeisterlichen Familie sich
ihren Platz erst erzwang, bald eroberte.
„Als ob
eine Schwadron Husaren hier gekneipt hätte!“, attestierte der Chor.
„Und
das sollen wir in Ordnung bringen!“
„Es ist
nur gut,“ reflektierte Benjamina, „das gestern kein Panschwetter war. Aber
heute! Kein Schnee, dafür regnet´s Schusterjungen, da können wir uns ja morgen
auf die Stiefel freuen!“
Dabei bearbeitete sie mit
ererbter Energie und schwungvollen Armbewegungen die Stiefel ihres Vaters,
wobei sie, wie sie es als Kind so oft in heißer Bewunderung beim Burschen
angestaunt, zur Erhöhung des Glanzes auf die Schuhcreme spuckte, bis ihr vom
Zentrum und der Fraktion der Rechten heftig klar gemacht wurde, dass man
solcher Naturkräfte nur für die altmodische Wische benötigt hatte.
„Kinder,
stellt Teewasser auf, ich gehe Gemüse besorgen“, erklärt mit wahrer
Grabesstimme und der Miene einer entthronten Königin die aus all ihren
geliebten Gewohnheitsgleisen herausgeschleuderte Erna. Aber lachend erscheint
sie nach kurzer Zeit wieder auf dem Kriegsschauplatz, eine Tüte Äpfel, „geschenkter“
Äpfel im Arm, den Jägerhut verwegen auf einem Ohr, und erklärt:
„Was ich
auch einkaufte, alles ist billiger, wie Minna es ankreidet, und außerdem bekam
ich um meiner schönen Augen willen noch Äpfel dezidiert. Ich schlage aber vor,
wir schreiben unserer „Herrschaft“ alles genau so hoch an, wie sie das gewöhnt
ist. Es tut nicht gut, wenn man Menschen aus dem seelischen Gleichgewicht
bringt. Und außerdem, ein Äquivalent muss man doch schließlich für die
ungewohnte Arbeitsleistung haben!“
„Jawohl,
fühlen wir uns jetzt als zum dritten Stand gehörig!“, hetzte das revolutionäre
Luxusmädel.
„Fühl ich
mich schon“, meinte das mittelste Erzeugnis, „da liegen nun die „Herrschaften“
im warmen Bett, und von uns wird kaltlächelnd verlangt, dass wir zeitig
aufstehen und arbeiten. Und dann macht man am Ende doch nichts recht! Ja, wenn
man noch anständigen Lohn bekäme, aber so, bloß travailler pour le roi de
Prusse (arbeiten für den Preußenkönig) – nee, danke für Obst!“
„Kinder
– Telephon!“, verkündet Erna mit nur mangelhaft gedämpfter Kommandostimme. Alle
drei stürzen nach dem Apparat. Erna lässt sich den Hörer nicht nehmen und reißt
ihn im wahrsten Sinne des Wortes an sich, dabei ihr Erstgeburtsrecht
vorschiebend, auf das sie pocht, wo es ihr passt, und das ihr selbst um eine
Schüssel Austern nicht feil wäre.
„Hier
Mädchen von Frau von Wildbach!“, schmetterte sie in den Apparat.
Heulendes, schwesterliches
Gelächter begleitet diese neue Behauptung. Wütend dreht sich Erna um:
„Na,
wollt Ihr mir etwa abstreiten, dass ich das bin?“, haucht sie ihre unbotmäßigen
Schwestern an.
„Nimm Dich
in acht, Du tutest ja Deine Wut in alle Welt hinaus!“, preschten die beiden
anderen los.
„Schließt
mal einen kleinen Augenblick Eure Futterluken, wenn Ihr das könnt.“ brummt
Erna, um bald mit hellem Lachen den Hörer anzuhängen.
„Mädels,
es ist angenehmer, sich als „Mädchen von Frau Wildbach“ zu melden, was sind da
die Leute gleich nett. Unser brummiger Fleischer nannte mich „schönes
Fräuleinchen“! Dafür habe ich auch gleich zugestimmt, als er frug, ob er die
Keule eines prachtvollen Familienkalbes schicken kann. Heute kommt ja doch
Konstantin zu Tisch, und der ist einfach gebrochen, wenn er nicht was Gutes „flapsen“
kann.“
Nach dieser Erholungspause
stürzen die drei weiter an die Arbeit. Das beim Lampenputzen die ganze Küche
durchdringend nach Petroleum riecht, erhöht nur den Reiz der eigenartigen
Situation. Als die große Vordiele von Benjamina gefegt wird, erscheinen eiligst
die beiden andern, und nun ward sich dieser unzerstörbare Dreibund lachend
klar, dass eine jede schon einmal ahnungslos den geduldigen Vorraum gesäubert
hatte. Das Bewusstsein aber stärkte und tröstete sie, dass beim Herrichten der
Betten wenigstens ein dreimaliges Bearbeiten weniger Spurlos vorüber gehen
würde wie auf der Diele, die etwas ausgiebige Verkehrstunde.
Da plötzlich donnern
unzählige Schläge, als sei wieder einmal ganz ausnahmsweise ein Prinz geboren.
Doch nein, der Rittmeister (Hermann von Monsterberg)
klopft nur an die Tür zum Allerheiligsten seiner Mädels, und die väterliche
Stentorstimme erweckt endgültig die vom Sylvesteralp schwer bedrückten Töchter
aus harten Träumen.
„Mädels,
steht doch endlich auf. Es ist schon lange Neujahr. Minna will aufräumen!“
Mit einem geradezu
beseligten Aufatmen rief Erna:
„Minna
will aufräumen? Nein, wie lieb von ihr!“
Und mit Tränen der Rührung
in den Augen sang sie leise und voll Andacht die österreichische Hymne mit
kühner Variation:
„Gott
erhalte unsre Minna – Minna unser Hab und Gut.“
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