Freitag, 23. Dezember 2016

UND WIEDER EINMAL WILL ES WEIHNACHT WERDEN


An den feuchten Wänden der Unterstände erstarren die Wasserteile zu glitzernden Eiskristallen, und Dezemberfrost beißt sich fest in alles was Mensch ist.
Seitdem sich der Eishauch der Kälte durch jede Ritze schleicht, scheinen die Gewehrläufe zu brennen, wenn sie die bläulich getönten Soldatenfäuste anpacken, und es heißt aufpassen, dass der Finger am Abzug nicht plötzlich anfriert. Das kostet dann ein Stück Haut und obendrein spottlustiges Lachen bei den Kameraden.
Voll verdrossenem Zögern sinken feuchtkalte Flocken schwer und matt herab. Und endlos, mit Schnee belastet, wie der Mensch mit Gram, dehnt sich der Kriegsacker. Eis bedeckt das Moor. Und in den Brüchen, die umhegt sind von den zerschossenen, zerspellten Stümpfen schmaler, blasser Birken, knistert und bricht der leicht verharschte Sumpf. Krähen hocken krächzend auf den hochgereckten Beinen gefallener Pferde, die halb vom Schnee verschüttet sind. Plustern ihre Federn, streifen ihre dürren, harten Ständer an den ausgespreizten Flügeln, klappen knackend mit den Schnäbeln und verdrehen mit schlauem Blinzeln ihre schwarzen, scharfen Äuglein. Gute Zeit haben sie. Der Krieg deckt ihnen überall den Tisch.


In einem der festen, deutschen Unterstände sitzen drei Leute vom neunten Korps. Scharfe Furchen riss die Pflugschar des Erlebens in die jungen Gesichter. Und der eherne Tatwille, der auch sie ausharren lässt in der unerhörten Gewalt Tod ausspeiender Kämpfe, in der markaushöhlenden Wucht des Trommelfeuers, dieser Tatwille starrt aus ihren Augen, die in die Weite gerichtet sind, als warteten sie auf etwas von unsagbarer Urgewalt. Sie kauern um den glutspuckenden eisernen Ofen, rauchen und brüten vor sich hin.
         „Kinners, nun ist bald wieder Weihnachten,“ sagt Hinnerk, „das dritte Mal schon draussen.“
„Na ja,“ meinte der lange Klaus und pafft dicke Rauchwolken aus seiner Pfeife, „und die dort drüben werden auch wieder für feurige Christbaumkerzen sorgen.“
Und dann fangen sie an, die drei, langsam, widerstrebend fast, von Weihnachten zu sprechen. Ruckweise kommt es heraus. Was sie reden, ist nur ein laut gewordenes, verstohlenes Denken. Und leise webt es wie Weihnachtszauber durch den Unterstand. Jeder versteckt etwas Liebes unter dem Brustbeutel. Irgendwo scheinen tiefe Glockentöne zu schwingen. Und waren doch nur feindliche Eisengrüße.
„Tja, der dritte Weihnacht,“ unterbricht Hinnerk das Schweigen und hustet angestrengt, damit die anderen nicht merken sollen, dass seine Stimme weich wurde.
         „Ob sie wohl in Hamburg an uns denken? So’n lütten Weihnachtsgruß an uns schicken?“
„Weißt du,“ meint Klaus, „Hamburger Pakete krieg ich zu gern! Da is immer so nett was in, die Hamburger schicken feine Sachen. Aber dies Jahr, glaub’s kaum. Die haben’s jetzt auch nicht leicht in der Heimat, und das Paketschicken wird wohl diesmal nichts werden.“
„Das mag wahr sein,“ nicht Hinnerk nachdenksam, „aber schade, bitter schade is das doch. Denn ich hab gar keinen Menschen, der mir sonst was schickt, zum Christfest. Und kämpf doch auch für die Heimat, selbst am Weihnachtsabend.“
Lautlos fällt der Schnee. Und auf die Decke des Unterstandes hämmert urplötzlich mit prasselnden Schlägen hart gefrorenes Erdreich, donnerndes Steingeröll, die eine unweit platzende Granate herüber schleudert.
Der wache Tod trommelt mit knöchernen Fingern drei deutschen Kriegern ein hohles Christlied.

Und wieder einmal will es Weihnacht werden. Ungezählte Köpfe und Hände denken und regen sich im Liebesdienst für unsere Feldgrauen. Emsige Arbeitstätigkeit herrscht im Gutrufhaus, wo die Weihnachtsgaben für sie verpackt werden. Ein gewaltiges Warenlager türmt sich dort auf, das planmäßig aufgestapelt und ebenso abgebaut wird. Hoch in die Tausende gehen die Gebrauchsgegenstände, in die Millionen die Zigaretten du Zigarren, die eingekauft sind, aber noch immer genügen die schwindelnden Zahlen nicht, um möglichst vielen unserer Helden, die aus Deutschland eine stille Insel des Friedens machten, eine Weihnachtsgabe senden zu können.
Weihnachtliche Vorstimmung geht um in den Packräumen. Ein geheimnisvolles Rascheln und Klappern dringt von den weitgestreckten Tischen, mit freudigem Ernst wird ununterbrochen gearbeitet und gesorgt. Sorgsame Frauenhände legen die Hamburger Sachen in die Pakete, voll des heißen Dankes, dass auch sie sich durch unserer Krieger unerhörte Opfer frei und unbefleckt regen dürfen.

Gesegnete und friedliche Weihnachten wünscht Elinor von Monsterberg
19. November 1916, Hamburgischer Correspondent, (Hamburger Staatsarchiv / 741-4_S 13016)