15. Januar 1911,
Hamburgischer Correspondent
(Hamburger Staatsarchiv / 741-4_S 12971)
Unkenntnis des
kaufmännischen Berufes führt zu dem Gedanken, dass alle Prosa der Welt in ihm
einbegriffen ist. Wer aber, und sei es noch so oberflächlich, hineinsieht und
erkennt, was hanseatische Arbeit und hanseatisches Schaffen bedeutet, der spürt
es nur zu rasch, dass Hamburgs Handel in seiner Gesamtheit eine welteneinende,
erdumspannende Macht bedeutet. Dass hamburgische Kraft, Entschlussfähigkeit und
weitblickendes Tun eine harte, schwere, nie aussetzende Siegesarbeit bedeutet,
eine gewaltige, deutsche Eroberung der Welten auf dem mächtigen Gefilde
friedfertiger Invasionen. Der erkennt, dass die freie Republik Hamburg mitten
in dem monarchischen Staatenverbande des geeinten Deutschen Reiches der
unbestrittene Sitz ist der siegreichsten, unregistrierten Großmacht der Welt,
der Großmacht des Königlichen Kaufmanns!
Wer aber die herbe und
einzigartige Poesie voll und ganz empfinden will, die über Hamburgs Handel
liegt, der muss sich von jenem ihm eigenen Wellenodem anhauchen lassen, der
nirgends so deutlich zu empfinden ist wie an Wochentagen im Hafen. Die
unsichtbaren, aber unzerstörbaren Stahltrossen handelnder Gedanken und
Entschlüsse, die deutschen Handel mit den entlegensten Teilen des Erdenballes
verbinden, sie scheinen von hier ihren Ausgangspunkt zu haben. Alle Zonen sind
uns dort, greifbar fast, nahegerückt. Die Möglichkeit einer fasslichen
Erdumspannung wird zum Verstehen. Die Verwischung der von Menschenhänden
gezogenen Ländergrenzen durch Taten der Überlegenheit menschlichen
Kulturgeistes wirkt in Hamburgs mächtigem, sich immer gewaltiger streckenden
Handelshafen auf jeden denkenden Menschen mit überwältigender Wucht und
eindringlicher Äusserungskraft. Das peinlich genaue Ineinandergreifen der
zahllosen, mit ihres Leibes Kräften arbeitenden Leute, die in lückenloser Kette
Bruchteile der gewaltigen Gedankenarbeit ausführen, die in ständigem geistigem
Überlegen, Planen und Vorausberechnen der Handelsherr leistet. Das gibt die
Begleitung zu dem hellen, klingenden Leitmotiv der Arbeit, das überall aus dem
werktäglichen Getriebe des Hafens heraus zu hören ist.
Vom Rödingsmarkt her
dringen dumpfe Rammtöne, hallt mit schmetterndem Laut das dröhnende Aufschlagen
der Hammer auf die eisernen Brückenpfeiler der anwachsenden Hochbahn. Sie
zwängt sich am ende der Straße keck hinein in das Gewässer des Hafens. Sie
drängt sich, voll von der Überzeugung ihrer notwendigen Daseinsberechtigung
zwischen die dort lagernden Schuten und runden Boote, die sich förmlich
verblüfft ob des unbekannten Neuen enger an die Ufermauern pressen. Ein
köstlich frischer Tag, just recht für eine Barkassenfahrt im Hafen. Frost lief
mit leichtem Nordostwind spielend über die Straßen. Ab und an nickte die Sonne
herunter, anscheinend anderweitig stark beschäftigt. In glitzernden, scharfen
Zacken hing frosterstarrtes Wasser an den Bootsrändern, zog sich als
blitzendes, breites Eisband von den Luken her, wo die Wasserpumpe tätig gewesen
war, bis hinab zu den Elbwellen, die wie spielende Hunde immer wieder am dunklen
Schiffsrumpf empor sprangen.
Zur Abgewöhnung und
dringend nötigen Erwärmung des inneren Menschen wurde noch rasch ein Eisbrecher
genehmigt. Dann ging es mit aufnahmefrohen Sinnen auf die winterfrischen
Hafenwasser, die an unserer Barkasse so lange zupften und zerrten, bis sie sich
ungeduldig zu regen begann. Jetzt ein Ruck am Hebelwerk, die Barkasse holte
schnaufend und rasselnd Atem und in hastender Fahrt ging es hinein in den
Hafen, in planlosem Genießen und unausgesetzten, kinematographisch raschen Aufnahen
des Bewusstseins, des zu doppelten Kräften erwachten Beobachtungsvermögens.
Aus der Werft von Blohm
& Voss hallt es herüber über die Wasser, ein Surren und Krachen, Hämmern
und Pfeifen, ein kochendes Zischen in sonderbarem Gemisch. Von den endelosen
Kais her geht ein Dröhnen der Arbeit aus. In bewusstem Tun rollen die schweren
Kräne auf gleitenden Eisenschienen vor die Schiffsluken und fassen mit starken
Riesenarmen nach den unbeweglich schweren Warenballen. Ein Reigen, ein
Handgriff, ein leichtes Aufrichten und rasches Abwärtsgleiten bis tief hinunter
in die abgründigen Lagerräume der Riesenschiffe. Dann ein Ruck, einförmlich
triumphierendes Hochschnellen der Eisentrossen und die Arbeit rollt von neuem
im unaufhaltsamen Gleichmaß weiter.
Das Heulen der
Schiffssirenen klingt wie ein wild auffahrender Schrei dazwischen, der hastige,
kurze Warnruf eines Motorbootes zerreißt die frostklare Luft mit schneidend
hellem Laut. Voll und dunkel, mit machtvoll schwerem Dröhnen, erhebt ein
scheidender Ozeandampfer seine tiefe, mahnende Stimme zu dumpfem Abschiedssang,
dass man die erzeugten Schallwellen förmlich körperlich fühlbar nachschwingen
spürt.
An der Schiffswand der „Swakopmund“
hocken auf schwankenden Tauleitern arbeitende Leute. Am Hintersteven sind auf festerem
Gerüst lohende Schmiedefeuer angefacht. Die heiße, rote Glut und der harte,
heilende Hammerschlag merzen die kranken Stellen am mächtigen Leib des
Wasserriesen aus.
Nicht weit davon liegt die
„Amerika“. Die stolze Schöne braucht schon wieder einmal – wohl ihr
hundertundtausendstes – neues Kleid. Reisetoiletten sind ein teures Vergnügen
für allerlei weibliche Spezies.
In sacher Neugier heben
sich die gelblichen Fluten der Elbe. Unerwartet rasch stürzt die keckste unter
den Wellen über unsere Bootsspitze. Sie kann sich kaum fassen und sammeln vor
schäumenden Lachen, als sie sieht, dass ihre Hände, wo sie auch hinfasste,
feuchte, schwere Spuren hinterlassen haben.
Langsamer geht es nun
einer der ungezählten Stauschleusen zu. In geisterhaft tonlosem Gleiten
schieben sich vor uns die schweren, eisenbeschlagenen Türen zurück, um sich
ebenso Schattenhaft wieder hinter unserer Barkasse zu schließen, als seien es
Charons Tore gewesen. Draußen aber ist wieder lachendes, tätiges Leben.
Ballen werden in Leichter
verladen, Ballen voll Ölkuchen, die aus den entfetteten Palmenkernen zu
Viehfutter verarbeitet werden. Weiter ab liegen an den Getreideschiffen die
graugelben Maschinen, die die Körner auffangen und in die Getreideboote in
unaufhaltsamem, wohlgeschütztem Rinnsal niedergleiten lassen.
Wechselnde Bilder ziehen
vorüber in rascher Aufeinanderfolge. Hier kreuzt unseren Weg eine vollbesetzte,
grüne Fähre, da wuchtet über das breite verdrängte Fahrwasser ein plumper,
massiger Elbkahn, der in seiner gedrungenen, schwerfälligen Form wie ein
fossiles Untier zwischen all den neuzeitlichen Schiffsarten aussieht. Plötzlich
ist es, als ginge da ein Mensch mit hochschäftigen Transtiefeln über die
schwankenden Wasser, nur gestützt auf eine lange Stakstange, bis die zwei
starken Baumstämme, die miteinander fest vertäut sind, sichtbar werden, auf
denen der Mann Flößerarbeit verrichtet. Aber es ist ein anderes Handwerk wie
auf den stilleren Binnenschiffen. Von hin und her eilenden Dampfern und
Barkassen zu ewiger Unruhe angetrieben, hasten die Wellen in starkem Treiben
über die unter der Wasserfläche liegenden Stämme, umspülen die Füße des
Flößers, heben und senken seinen unsicheren Halt in unerwarteter Gegenbewegung,
dass selbst sein Gesichtsausdruck die starre Anspannung all seiner Kräfte und
Sinnesorgane anzeigt.
Unsere Fahrt geht an einem
älteren Dampfer der Hapag vorbei. Mit verschmitztem Grinsen schiebt unser
Barkassenführer seinen Priem von einem Mundwinkel in den anderen, spuckt in
kunstgerechtem weitausholendem Bogen und erklärt uns des Dampfers Daseinszweck:
„Dat ’s die Grot-Hotel vor die
Streickbrechers!“
Und wieder eine kleine
Drehung: wir laufen in das Mastenreich des stolzen Segelschiffhafens ein. Da
liegt der „Engelhorn“, der ungeschickte englische Vetier, der die „Pommern“ so
derb angerempelt hat. Sein Bugspriet zeigt derbe Kratzwunden. Sie wehrte sich
wohl und er braucht jetzt dringend nötig heilende Hände. Backbord zeigt er ein
paar Fäuste großes, mit Holz vernageltes und mit Segeltuch verstopftes Loch. Er
sieht aus, als hätte er schwere See gehabt. Nicht weit von ihrem unfreundlichen
Kameraden hat die arme „Pommern“ festgemacht. Hier und da eine Rahe geknickt,
schwere Schrammen am Rumpf und die Steuerbordseite des Hinterstevens, dicht in
der Nähe des Ruderrades, tief hinunter aufgerissen, zerspellt wie ein Nichts
die starken Wandungen, weit offen der breiten Wunde großer, starrer Mund. Als
hätten kampfestolle Wikinger bei hartem Wetter mit zähem Todesmut die „Pommern“
geentert. Schlachtennot scheint sei herbe verkostet zu haben. Wer aber ehrliche
Wunden trägt, darf sich der Narben freuen.
Das weißgrüne Kupferkleid
von St. Katharinen flimmert wie ein Festgruß herüber. Der satte, warme
Farbenton von St. Petri hält sich wie in stillem Abwarten etwas zurück, als wir
wieder an Land gehen. Mit einem so frohen, lebensfrischen Gefühl, als hätte die
Hafenfahrt, der Wasseratem uns des Alltags staubigen Qualm ansichtbar von Leib
und Seele genommen.
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